1.2 - Die ersten Jahre

(Aus einem Vortrag von Wilhelm Gierling 1994 anlässlich des 90. jährigen Bestehens)

Wir wollen uns aber jetzt die unter der Nr. 229 im Archiv befindlichen Akten etwas genauer ansehen.

Unter anderem befindet sich darin das Original der "Statuten des Vereins Katholischer Arbeiter und Handwerker zu Baumberg" vom 18. Dezember 1904, dem Gründungstag der KAB.

Im § 1 der Statuten ist der Zweck des Vereins klar beschrieben. Ich darf das mal hier vorlesen.

Das Generalvikariat in Köln hat am 10. Februar 1905 die Gründung des Vereins und die Statuten genehmigt, mahnt aber den Verein, dass im § 9 der Zusatz „Katholisch“ von dem Wort Mitglied zu streichen sei, weil überflüssig. § 9 befasst sich mit der Ausschließung vom Verein. Es heißt, dass: „Mitglieder, welche einen unmoralischen Lebenswandel führen, können vom Verein ausgeschlossen werden.“ Ursprünglich stand da wohl: "Katholische Mitglieder, welche einen unmoralischen Lebenswandel führen."

Das Streichen dieses Zusatzes macht nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass entweder nur Katholische dem Verein angehören durften oder katholische Mitglieder grundsätzlich keinen unmoralischen Lebenswandel führten.

Am 9. Juni 1905 trat Baumberg dann dem "Bergischen Verband der Arbeitervereine" bei. Der Verband schreibt dazu: "Als einzige Pflicht obliegt Ihnen pro Jahr und pro Mitglied 5 Pfg an die Verbandskasse abzuführen."

Ebenfalls 1905 ist die KAB der „Central - Krankengeld - Zuschusskasse“ beigetreten und es wurde eine örtliche Verwaltungsstelle eingerichtet. Interessant ist, dass „ältere Mitglieder“, damit waren ausdrücklich solche über 40 gemeint, nur eintreten konnten, wenn sie bei der Gründung schon dabei waren. Später wurden „alte Leute über 40“ nicht mehr aufgenommen.

Der Verein hat jedes Jahr ein „Stiftungsfest“ gefeiert. Von dem Stiftungsfest im Jahre 1908 liegt uns noch ein Programm vor. Diese Stiftungsfeste waren wohl ein Fest für das gesamte Dorf, wie das Programm zeigt. Bei jedem Programmpunkt der Festversammlung wurde ein gemeinschaftliches Lied gesungen. Ich glaube wir würden uns wohl heute etwas schwer tun, sowohl was die Melodien als auch die Texte angeht.

Bei diesem Stiftungsfest im Jahr 1908 wurde auch die 1. Fahne geweiht. Diese Fahne muss wohl besonders wertvoll gewesen sein, denn sie wurde noch im gleichen Jahr bei der „Leipziger Feuer-Versicherungs-Anstalt“ versichert. In dem Versicherungsanhang heißt es: „1 seiden - sammet gestrichene Fahne nebst Schärpen und Trageriemen im Wert von 600 Mark“. Der zugehörige Fahnenschrank hatte einen Wert von damals 50 Mark. Die Fahne wurde im Pfarrhaus, das als „Wohnhaus mit Nebengebäuden und Stall“ versichert wurde, aufbewahrt.

Bei der Gründung des Vereins meldeten sich 91 Interessenten an. In der 1. Mitgliederliste sind dann 63 Mitglieder angegeben. Die Vereinsmitglieder wurden in 5 Bereiche gegliedert, die von je einem Bezirksvorsteher (Vertrauensleute) benannt wurden.

Der Diözesanverband war in 12 Bezirksverbände eingeteilt. Baumberg gehörte zum Bezirksverband Elberfeld. In den „Mitteilungen an die Präsides der Arbeitervereine“ sind die Mitgliederzahlen für Baumberg in 1907 und 1908 mit jeweils 80 angegeben. Am 1. Januar 1909 waren es bereits 102 Mitglieder, ein beachtlicher Zuwachs.

Die „Mitteilungen für die Präsides“, die wohl regelmäßig herausgegeben wurden, enthalten auch Berichte über Versammlungen und Beschlüsse, jedoch auch Ratschläge für alle Lebenslagen auf politischem, sozialem und familiärem Gebiet. Auf politischem Gebiet wird natürlich davon ausgegangen, dass katholische Arbeiter der Zentrumspartei angehören oder sie zumindest wählen müssten. Die Ratschläge auf sozialem und familiärem Gebiet sind so zahlreich und für die damalige Zeit so bezeichnend, dass hier einige Überschriften als Beispiel dienen mögen:

Da heißt es z.B.
  - Die Befähigung der Eltern für die Jugenderziehung
  - Die Pflege der Häuslichkeit mit den Untertiteln
  - Ein eigenes Heim
  - Gemütlichkeit der Wohnung
  - Reinlichkeit und Ordnung
  - Anforderungen von Schönheit und Geschmack

Dann geht’s weiter
  - Die Arbeiterexerzitien
  - Förderung von Sparsamkeit
  - Die Veredelung der Glaubenshaltung
  - Die Pflege von Geist und Gemüt
  - Die Förderung der Veredelung der Lebenshaltung der Arbeiterfamilien

Ein Artikel befasst sich mit dem „Geistigen Verkehr der Familienangehörigen untereinander“. Der Artikel ist ein Beweis dafür, dass die KAB sich schon damals im Jahr 1909 Sorgen um die Emanzipation der Frauen gemacht hat.

Das waren alles Themen der Arbeitervereine in den Jahren nach der Gründung des Baumberger Vereins.

Unabhängig davon können wir ja mal sehen, was wir sonst aus dieser Gründerzeit der KAB noch wissen. Viel ist es nicht, was wir an Daten haben, und große Ereignisse in Baumberg sind auch nicht bekannt. Es tat sich nicht viel in Baumberg. Auch bei den Einwohnerzahlen sind keine großen Sprünge festzustellen.

1900 hatte Baumberg 1208 Einwohner, davon 1201 Katholische und 7 Evangelische
1905  waren es 1328 Einwohner, davon 1291 Katholische und 37 Evangelische
1915   1382 Einwohner, davon 1334 Katholische und 48 Evangelische
1919   1364 Einwohner, davon 1331 Katholische und 33 Evangelische
1991  etwas mehr als

17.000 Einwohner, davon 44% Katholisch, 30 % Evangelisch und 26 % Sonstige bzw. ohne Konfession

1901 hatte Baumberg eine Straßenbeleuchtung erhalten, die 1905 elektrifiziert wurde. Um 1900 gab es das erste öffentliche Telefon. 1909 fuhr die erste Straßenbahn nach Baumberg.
 
Die Bevölkerung Baumberg’s bestand fast ausschließlich aus Arbeitern und kleinen Landleuten, heißt es in einem damaligen Bericht, das waren in der Hauptsache, Landwirte, Korbmacher, Weber, Fischer, Land- und Fabrikarbeiter.

Eine spätere Statistik des Pfarrers Johannes Müller wird etwas genauer, er zählte damals 287 Familien, davon waren 178 Arbeiterfamilien, 36 Landwirte, 34 Handwerker, 11 Geschäftsleute, 23 Beamte und 5 Gastwirte.

Die Welt bestand Anfang des Jahrhunderts aber nicht nur aus Baumberg, obwohl Baumberg eine eigene kleine, abgeschlossene Welt war. Es gab ein politisches, soziales und wirtschaftliches Umfeld, das im Umbruch oder auch im Aufbruch war. Für die Jahre 1904/1905 verzeichnen die Chroniken so viele, auch bedeutende Ereignisse in der Welt, dass eine Aufzählung sicher den Rahmen hier sprengen würde. Ich will hier nur einige nennen und in Erinnerung rufen, die nicht unbedingt die Wichtigsten sind, aber zum Teil für die damalige Zeit charakteristisch, und die manchmal für die Arbeiterbewegung erhebliche Bedeutung hatten. Ich möchte das gerne in der Form der heutigen Nachrichten und nur in Schlagzeilen vortragen. Manches davon kommt uns sicherlich vor wie aus einer längst vergangenen Zeit, aber manches klingt so bekannt, als wenn es eben erst passiert wäre: Also meine Damen und Herren, es folgen Nachrichten aus den Jahren 1904/ 1905:

  06. Januar 1904 Das Bayer-Kreuz wird als Warenzeichen Nr. 65777 eingetragen
  06. Februar 1904 Beginn des Krieges zwischen Japan und Russland
  03. März 1904 Kaiser Wilhelm II spricht auf einer Edison- Walze, es ist das erste erhaltene politische Tondokument   
  08. März 1904  Der Bundesrat stimmt dem Beschluss des Reichstages, den § 2 des Jesuitengesetzes auszuheben zu (betrifft die Ausweisung von Mitgliedern des Ordens)
  01. April 1904 In Frankreich werden Kruzifixe und religiösen Bilder aus den Gerichtssälen entfernt
  12.-18. Juni 1904 Internationaler Frauenkongress in Berlin
  23. Juni 1904 Der Verein "Deutscher Arbeitgeberverbände" wird gegründet
  09. August 1904 Internationaler Bergarbeiterkongress fordert einen Mindestlohn und den 8-Stunden-Tag
  15. September 1904 Der Deutsche Pfarrertag spricht sich für die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht aus.
  18. September 1904 Sozialdemokratischer Parteitag in Bremen
  29. November 1904 Mehrere Gewerkschaften beschließen am 1. Mai keinen Umzug mehr zu gestalten
  11. Dezember 1904 Der Papst schafft das Vetorecht der Kardinäle bei einem Konklave ab
  09. Januar 1905 Streikbewegung in Russland verstärkt sich zur revolutionären Bewegung.
  19. Januar 1905 Im Ruhrgebiet streiken 215.000 Bergarbeiter (das sind 75 %) wegen der Schließung von Zechen und der langen Arbeitszeiten
  27. Januar 1905 Massenstreiks in fast allen großen Städten Russlands, Zusammenstöße mit Polizei und Militär, 1.000 Tote
  07. Februar 1905 Der Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet muss aus finanziellen Gründen abgebrochen werden
  Der Reichstag debattiert über Maximalarbeitstag. Im Zusammenhang mit einer Begrenzung der Arbeitszeit für Arbeiter über 16 Jahren vertritt die deutsche Regierung die Auffassung, so wörtlich: Die gesetzliche Einführung eines Maximalarbeitstages beeinträchtigt die Freiheit des Individuums und schädigt das Erwerbsleben. Die Festsetzung des 10-Stunden-Tages wird massenhaft Landarbeiter in die Stadt locken und die Arbeitslosigkeit vermehren.
  21. Februar 1905 Streik von 80.000 belgischen Bergleuten
  17. März 1905 England führt die 8-Stunden-Woche für Kohlearbeiter unter 18 Jahren ein
  30. April 1905

In Berlin werden Zahlen über das Jahreseinkommen von Beamten veröffentlicht, demnach verdient ein:
- Oberpräsident : 21.000 Mark
- Regierungsrat: 7.200 Mark
- Kanzleisekretär: 3.800 Mark
- Stationsvorsteher: 4.200 Mark
- Lokomotivführer: 2.200 Mark

In Baumberg verdient zu dieser Zeit der
- Küster: 120 Mark
- Organist: 650 Mark
- Balgtreter: 10 Mark
- Kirchenknecht: 90 Mark

  06. Mai 1905 Siegmund Freud feiert seinen 50. Geburtstag
  08. Mai 1905 Tagung der internationalen Arbeiterschutz-konferenz in Berlin,
Thema: Gewerbliche Nachtarbeit für Frauen    
  12. Mai 1905 Reichstag debattiert über Unsittlichkeit in Kunst und Literatur
  14. Mai 1905 Hamburg ändert Wahlrecht, um weiteres Vordringen der Sozialdemokraten zu verhindern
  21. Mai 1905 Union 05 Berlin wird durch einen 2:0 Sieg gegen den Karlsruher FC in Köln Deutscher Fußballmeister
  26. Mai 1905 Annahme des Berggesetzes im preußischen Abgeordnetenhaus.
  Nach dem Streik im Ruhrgebiet hat jetzt die Regierung die Möglichkeit, zu hohe Arbeitszeiten herabzusetzen, die sanitären Bedingungen zu verbessern und das Bestrafungssystem zu ändern. Nach dem Streik haben 200.000 Arbeiter ihren Arbeitsplatz verloren.
  19. Juni 1905 Papst Pius X. gestattet in einer Enzyklika den italienischen Katholiken die Beteiligung am öffentlichen Leben, also Teilnahme an Wahlen und Volksvertretung.
  30. Juni 1905 Die christlich – soziale Arbeiterbewegung wächst stark an.
Am 1. Januar 1905 betrug die Mitgliederzahl 195.401, am 1. Januar 1901 waren es 83.571 gewesen, das ist eine Steigerung in 5 Jahren um 133 %.
  02. Juli 1905 In Frankreich tritt ein Berggesetz in Kraft, das die Arbeitszeit auf 9 Stunden begrenzt.
  23. Juli 1905 Massenplünderungen in Russland / Nischni Nowgorod 
  15. August 1905 Belgischer Senat genehmigt Gesetz über Sonntagsruhe
  21. August 1905 52. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Straßburg
  17.-23.September 1905 Sozialdemokratischer Parteitag in Jena, August Bebel kritisiert scharf die Außenpolitik des Reiches
  02. Oktober 1905 Württemberger Eisenbahnverwaltung führt 9- Stunden-Tag ein
  14. Oktober 1905 Russland und Japan unterzeichnen einen Friedensvertrag
  15. November 1905 Der Genfer Frédéric Dufaux fährt mit einem 8-Zylinder – Rennwagen einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord von 156,52 km/h.
  18. November 1905 Sozialdemokratische Massenversammlung gegen das bestehende 3-Klassen-Wahlrecht in Sachsen   
  23. November 1905 Bayerische Abgeordnetenkammer behandelt Anträge über Arbeitszeitverkürzung (9-Stunden-Tag) und Lohnerhöhungen
  10. Dezember 1905 Verleihung des Nobelpreises an Deutsche:
Robert Koch für Medizin
Adolf von Bayer für Chemie
Philipp Lenard für Physik
Den Friedensnobelpreis erhält Bertha von Suttner.   
  30. Dezember 1905 In Frankreich hat die Gesamtproduktion an Kraft-Fahrzeugen mit Benzinmotoren die 1500-Stück-Grenze erreicht.
   In Wien wird die Operette „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar uraufgeführt

So, das war also ein Rückblick auf die Jahre 1904 und 1905. Nur zur Klarstellung, diese Daten stammen nur zum Teil aus dem Pfarrarchiv.

Bei unserem Rückblick wurde auch über die verschiedenen Jahreseinkommen berichtet.
Wir erinnern uns, dass ein Lokomotivführer im Jahr 1905 2.200 Mark verdiente. Der Baumberger Organist hatte 650 Mark. Ich habe mich daraufhin nach dem Kirchenhaushalt von 1907 umgesehen (1905 liegt leider nicht vor). Der Gesamthaushalt belief sich damals auf 3.466 Mark.